Theorie by Carmen Rüter

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Das Gemeindebau Festival 2010 – 2011

Gibt es Besonderheiten der Kleidungspraxis im Gemeindebau? Welche Geschichten erzählen uns die Menschen im Gemeindebau durch den Einsatz von Kleidung? Wie wirkt sich der Raum auf den Einsatz von Mode aus?

Das Gemeindebaufestival 2010 begibt sich auf die Suche nach Mode-und Kleidungspraxis im Wiener Gemeindebau. Es versteht sich als Forschungsansatz zum Thema Mode und möchte Fragen aufwerfen, Denkprozesse anregen, zur Partizipation einladen und ein Forum für die Wahrnehmung und Akzeptanz von Diversitäten bieten.
Das diesjährige Gemeindebaufestival bietet Möglichkeiten zur Verbreitung von Mode und gewährt Einsichten in die Entstehungsprozesse.

Die Interaktion im urbanen Raum

Ein Stadtbild definiert sich über den gebauten Raum – aber auch im performativen Akt der BewohnerInnen wird urbane Identität produziert. Die Kleidungspraxis als performativer Akt visualisiert den Zeitgeist und kommuniziert sowohl persönliche als auch lokale Verhältnisse.
Im urbanen Kontext bedeutet das die gleichzeitige Platzierung und das Nebeneinander der unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Dabei bietet die Architektur des Gemeindebaus den Raum für die sozialen Interaktionen der BewohnerInnen.

Wien ist bekannt für ein faszinierendes Stadtbild, das durch die gegensätzliche Kombination von Zeitgemäßem und Traditionellem einen vibrierenden, lebendigen Ort erzeugt.
Bedingt durch die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien geschehen Veränderungen auf gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Ebene mit zunehmender Geschwindigkeit. Städte sind dabei in ein globales Netzwerk eingebunden und mehr als jemals zuvor sind lokale gesellschaftliche Entwicklungen an globale Ereignisse gekoppelt. Dennoch und gerade deswegen sind es die lokalen Besonderheiten, die einer Stadt ihren besonderen Charakter verleihen.

Die Stadt im Prozess

Der Wiener Gemeindebau erfuhr bereits zur Zeit seiner Entstehung im Wien der 20er Jahre internationale Beachtung als zukunftsweisendes Reformprojekt des kommunalen Wohnungsbaus. Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten haben im Wiener Gemeindebau ein Zuhause gefunden.
Im Jahr 2010 blickt Wien auf 90 Jahre soziales Wohnen zurück. Eine Zeitspanne geprägt von Solidarität, Kollektivität aber auch Brüchen und Veränderungen.

Als Projekt zur Erforschung neuer Konzepte, Strategien und Methoden für eine dynamische und flexible Interpretation des urbanen Lebens im Wiener Gemeindebau, möchte das Gemeindebaufestival Prozessen urbaner Veränderung und Transformation eine Plattform bieten. Es gilt, die Stadt als Entwicklungsraum wahrzunehmen – sie durch Prozesse der Mitgestaltung und Mitbestimmung anzueignen.

Mode und Raum

Architektur und Mode sind Disziplinen, die einen unmittelbaren Einfluss auf unser Leben haben. Sie schaffen gleichermaßen Raum für Entfaltung auf symbolischer und körperlicher Ebene und bilden durch ihren Wiedererkennungswert Orientierungshilfen.
Dabei geht es um Ideen von Raum, Volumen und Bewegung, die persönliche, politische, soziale, religiöse und kulturelle Identität schaffen. Nicht zuletzt verbildlichen sie soziale Differenzen. Die Konnotation gebauten Raums ist für den Einsatz von Mode ausschlaggebend. Seine Größe und Beschaffenheit übt sowohl auf den Körper, die Befindlichkeit und die Bewegungen eines Menschen als auch auf die Kleidungspraxis unmittelbaren Einfluss aus:
Es findet sich eher keine Dame in einer mittelalterlichen Ballrobe, deren Reifrock den Durchmesser eines Gartenteichs bemisst, in einer Arbeiterwohnung. Sie würde schlicht und ergreifend nicht durch die Tür passen.

Mode ist Kommunikation

Der Mensch kommuniziert über die Gestaltung seines Äußeren seine Identität. Abhängig von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und dem jeweiligen persönlichen Interesse, geschieht dies in Form von funktionstüchtiger Kleidung oder dem Einsatz von Mode.

Was Mode ist oder sein wird, wird im Rahmen sozial-kommunikativer Prozesse gesellschaftlich verhandelt. Mode unterliegt Trends, welche im Rhythmus eines saisonalen Mechanismus einem interessierten Publikum vorgeschlagen werden.
Diese Trends werden akzeptiert oder verworfen und sind demnach “angesagt” oder ganz einfach “out”.
Im Gegensatz zur Kleidung kommuniziert der Einsatz von Mode Inhalte persönlicher und/oder politischer Natur. Mode bietet eine Oberfäche für die Entstehung, Verbreitung, Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion oder die Veränderung von Identität.
Was letztendlich auf den Straßen getragen wird, trägt zum visuellen Erscheinungsbild einer Stadt bei. Auf der Straße erfährt die Verhandlung von Mode eine neue Dimension: hier werden Trends vorgeführt und auf lokaler Ebene neu verhandelt.

Gemeinsamkeiten und Differenzen

Ebenso wie sich durch den Einsatz von Mode Zugehörigkeit symbolisieren lässt, greifen Mechanismen der Exklusion, wenn nicht das passende Kleidungsstück zur passenden Gelegenheit ausgewählt wird.
Als Schnittstelle zwischen Körper und Außenraum bietet die Mode Möglichkeiten der visuellen Verständigung. Mode formt die Silhouette des Körpers und lässt auf die kulturelle Praxis schließen.

Um ihre Wirkung zu entfalten, bedarf die Mode einer Öffentlichkeit, denn Kommunikation verläuft nicht in eine Richtung sondern entsteht durch die Wechselwirkung zwischen Gestalter, Objekt und Betrachter.

Als engstes an den Körper gebundenes Kommunikationsmittel des Menschen wird die Mode im Rahmen des Gemeinedbaufestivals 2010 in den Mittelpunkt gerückt.
Die modischen Facetten in ihrer Stilpluralität werden dokumentiert und untersucht.
Es geht darum, Gemeinsamkeiten und Differenzen zu finden, die in unterschiedlichen Kleidungsformen, Praktiken und Ästhetiken wahrnehmbar sind.
Das vermeintlich Fremde offenbart bei näherer Betrachtung viele Gemeinsamkeiten.

Text: Carmen Rüter / m.e.t.r.o.n.o.m.

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